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Mai
BGH bestätigt und präzisiert seine Rechtsprechung zu Rückrufmaßnahmen als Be-standteil eines Unterlassungsgebotes
In inzwischen gefestigter Rechtsprechung geht der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) davon aus, dass die Unterlassungspflicht zumindest ernsthafte Rückrufbemühungen umfasst. Diese sehr praxisrelevante Rechtsprechung wird im Schrifttum ungewöhnlich stark kritisiert. In einer neuen Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung bestätigt und für das einstweilige Verfügungsverfahren präzisiert (Beschl. v. 11.10.2017, Az. I ZB 96/16 – Produkte zur Wundversorgung).
Sachverhalt
Gegenstand der Entscheidung ist ein Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO wegen schuldhafter Zuwiderhandlung gegen einen Unterlassungstitel. Durch eine einstweilige Beschlussverfügung wurde es der Schuldnerin gerichtlich bei Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, im geschäftlichen Verkehr mit markenverletzenden Zeichen versehene Verpackungen von Produkten zur Wundversorgung abzugeben, in Verkehr zu bringen oder zu bewerben. Nach Zustellung der einstweiligen Beschlussverfügung hat die Schuldnerin bereits ausgelieferte Ware von ihren Abnehmern nicht zurückgerufen und diese auch nicht über die einstweilige Verfügung informiert. Wegen der unterbliebenen Rückrufhandlungen, die durch Testkäufe festgestellt wurden, begehrte die Gläubigerin die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO gegen die Schuldnerin. In der einstweiligen Verfügung wurden Rückrufmaßnahmen nicht ausdrücklich angeordnet.
Entscheidung
Nach Ansicht des BGH hat die Schuldnerin gegen die einstweilige Verfügung verstoßen, indem sie es im Zeitraum zwischen Zustellung der einstweiligen Verfügung und den Testkäufen unterlassen hat, die markenverletzenden Produkte entweder zurückzurufen, die sie vor Zustellung der einstweiligen Verfügung an ihre Abnehmer ausgeliefert hatte, oder die Abnehmer der Produkte zumindest aufzufordern, diese wegen der ergangenen einstweiligen Verfügung vorläufig nicht weiter zu vertreiben. Eine Handlungspflicht des Unterlassungsschuldners setze, so der BGH, nicht voraus, dass bereits der Tenor erkennen lasse, ob der Unterlassungsschuldner auch zu einem aktiven Handeln verpflichtet sei. Dies könne sich auch aus einer Titelauslegung ergeben. Falls aus der Titelauslegung eine Rückrufpflicht folge, sei der Unterlassungsschuldner ebenso wie der Schuldner eines spezialgesetzlichen Rückrufanspruchs verpflichtet, gegenüber seinen Abnehmern mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit sowie unter Hinweis auf den rechtsverletzenden Charakter der Erzeugnisse deren Rückerlangung zu versuchen. Einen Erfolg des Rückrufs schulde der Schuldner jedoch nicht. Bei der Vollstreckung aus einem in einem Verfügungsverfahren erlassenen Titel müsse bei dessen Auslegung aber berücksichtigt werden, dass die Hauptsache durch eine einstweilige Verfügung nur unter engen Voraussetzungen vorweggenommen werden dürfe. Dem Schuldner, der von der Unterlassungsverfügung betroffene Waren bereits ausgeliefert habe, sei es jedoch regelmäßig zuzumuten, seine Abnehmer aufzufordern, die Waren vorläufig nicht weiter zu vertreiben. Eine Verpflichtung des Schuldners zu ernsthaften Rückrufbemühungen komme bei Unterlassungsverfügungen jedoch nur in Ausnahmekonstellationen in Betracht, beispielsweise in den Fällen der Produktpiraterie.
Fazit
Der BGH hält mit dieser Entscheidung ungeachtet der intensiven Kritik aus dem Schrifttum an seiner „Rückruf“-Rechtsprechung fest. Für das einstweilige Verfügungsverfahren erfolgte eine Präzisierung dahingehend, dass den Unterlassungsschuldner in der Regel „nur“ die Verpflichtung trifft, die Abnehmer aufzufordern, bereits ausgelieferte Waren vorläufig nicht weiter zu vertreiben. Auch nach dieser Entscheidung verbleiben in der Praxis unbeantwortete Fragen und Probleme. Die Grenze zwischen einem Unterlassungsanspruch und dem spezialgesetzlich geregelten Rückrufanspruch wird verwischt. Die „Rückruf“-Rechtsprechung hat gravierende Auswirkungen für den Schuldner, dessen Beziehungen zu seinen Abnehmern belastet wird. Auch für den Gläubiger kann sich ein erhebliches Schadensersatzrisiko ergeben, wenn der Schuldner nach einem gerichtlichen Unterlassungsgebot kostenintensive Rückrufmaßnahmen einleitet und sich die einstweilige Verfügung im Nachhinein als unberechtigt erweist. Wie Schuldner und Gläubiger ihr jeweiliges Risiko verringern können, hat die Rechtsprechung noch nicht geklärt. Jedes Unterlassungsgebot muss nunmehr sorgfältig daraufhin überprüft werden, ob und in welchem Umfang den Unterlassungsschuldner Handlungspflichten treffen.
Dr. Reinhard Döring
doering@bock-legal.de