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17
Mai

Haftungsverschärfung für Geschäftsführer in Insolvenz befindlicher Gesellschaft: Analoge Anwendung von §§ 60,61 InsO im Eigenverwaltungsverfahren

Der BGH hat nunmehr die lange währenden Diskussionen um die Eigenhaftung des Schuldners im Eigenverwaltungsverfahren beendet und mit Urteil vom 26.04.2018 festgestellt, dass die vertretungsberechtigten Geschäftsleiter einer juristischen Person in der Eigenverwaltung analog nach den Vorschriften der §§ 60, 61 InsO haften (Az. IX ZR 238/17).

Sachverhalt

Über das Vermögen der Schuldnerin, einer GmbH & Co. KG, wurde März 2014 unter Anordnung von Eigenverwaltung ein Insolvenzverfahren eröffnet. Neben dem zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalt wurde der Beklagte zum weiteren Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Schuldnerin berufen. Im Dezember 2014 bestellte die Schuldnerin bei der Klägerin Damenoberbekleidung, deren Lieferung im April 2015 hatte und im Mai 2015 vereinbarungsgemäß in Rechnung gestellt wurde.

Bereits im Januar 2015 hob das Amtsgericht nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans das Insolvenzverfahren auf, welches auf eigenen Antrag der Schuldnerin aus Juni 2015 erneut eröffnet wurde.

Die Klägerin nahm den Beklagten wegen des Forderungsausfalls auf Schadenersatz in Anspruch.

 

Entscheidung

Nachdem die Klage in den Vorinstanzen abgewiesen wurde, weil das Berufungsgericht sowohl eine Haftung des Beklagten als Sachwalter persönlich wegen Verschuldens bei Vertragsschluss wie auch eine Haftung gemäß den Regelungen der §§ 60, 61 InsO analog verneinte, bejaht der BGH eine Haftung des Geschäftsführers analog § 61 InsO.

Zwar scheide eine unmittelbare Anwendung der §§ 60, 61 InsO mangels Einsetzung des beklagten Geschäftsleiters zum Insolvenzverwalter aus. Allerdings können die Vorschriften der  §§ 60, 61 InsO in der Eigenverwaltung einer juristischen Person analog auf die vertretungsberechtigten Geschäftsleiter angewendet werden, weil die Verweisung des §§ 270 Abs. 1 S. 2 InsO auf die §§ 60, 61 InsO die Organe des Schuldners nicht unmittelbar erfasst und damit eine unbeabsichtigte Regelungslücke enthält.

Im Fall der Eigenverwaltung sind die Befugnisse des Schuldners und des Sachwalters derart abgegrenzt, dass die laufenden Geschäfte von dem Schuldner geführt werden und der Sachwalter einerseits die Geschäftsführung kontrolliert unterstützt, andererseits die besonderen Aufgaben wahrnimmt, die dem Insolvenzverwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners bleibt in der Eigenverwaltung damit unangetastet. Faktisch nehmen die Geschäftsleiter einer Gesellschaft im Rahmen der Eigenverwaltung weitgehend diejenigen Befugnisse war, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Werden daher die Vertretungsorgane über ihre originären gesellschaftsrechtlichen Befugnisse hinaus mit Aufgaben eines Insolvenzverwalters betraut, besteht, so der BGH, folgerichtig ein spezielles Haftungsbedürfnis, den das Gesetz durch die Verweisung des §§ 270 Abs. 1 S. 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO zu genügen suche. Da dieses allerdings die Unterscheidung zwischen natürlichen Personen und juristischen Personen als Schuldner nicht bedacht hat, wonach bei juristischen Personen die Geschäftsleitung eigentlicher Adressat der Eigenverwaltung ist, und zugleich die bestehende Gesetzeslücke nicht im Rückgriff auf die allgemein für Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft geltenden Haftungstatbestände angemessen ausgefüllt werden kann, was durch den BGH in seiner Entscheidung vom 26.04.2018 im Einzelnen dargelegt wird, kommt nach Ansicht des BGH nur eine Haftung der Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft gegenüber den Beteiligten für die Verletzung ihnen obliegender insolvenzspezifischer Pflichten analog §§ 60, 61 InsO auf Schadenersatz in Betracht. Auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Beteiligten sei eine Haftung der Geschäftsleiter nach §§ 60, 61 InsO unumgänglich, da deren Verantwortungsbereich im Vergleich zum Rechtszustand vor Verfahrenseröffnung deutlich gesteigert werde.

 

Fazit

Mit dieser klarstellenden Entscheidung wird der Haftungskanon für Geschäftsleiter um einen weiteren insolvenzrechtlichen Haftungstatbestand erweitert.

Dies bedeutet für die Praxis, dass sich die Geschäftsleiter einer insolventen Gesellschaft, für die  die Eigenverwaltung beantragt wurde bzw. beabsichtigt wird, vorab über die sie im Rahmen der Eigenverwaltung treffenden besonderen Pflichten zu vergewissern haben, um die damit einhergehenden Haftungsrisiken einschätzen und handhaben zu können.

 

 

Ulrike Müller

mueller@bock-legal.de