Blog
Apr
Zu den Anforderungen an einen masseneutralen „Aktiventausch“ bei Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife
Der Bundesgerichtshof hatte mit Urteil vom 18.11.2014 (Az. II ZR 231/13; vgl. Newsletter bock legal 1/15) entschieden, dass Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife dann keine Erstattungspflicht der Organmitglieder auslösen, wenn in unmittelbarem Zusammenhang mit der Masseschmälerung ein kompensierender Massezufluss erfolgt ist. In der vorliegenden Entscheidung vom 04.07.2017 (Az. II ZR 319/15) konkretisiert der 2. Zivilsenat, welche Anforderungen an die Gegenleistung zu stellen sind.
Sachverhalt
Der Kläger nahm als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer pivate company limited by shares nach englischem Recht mit deutscher Niederlassung den „director“ dieser Gesellschaft wegen Auszahlungen von den kreditorischen Konten der Gesellschaft nach dem vermeintlichen Eintritt der Insolvenzreife in Anspruch. Die Zahlungen erfolgten an Angestellte der Gesellschaft sowie an externe Dienstleister, unter anderem an Energielieferanten und Telekommunikationsdienstleister.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass der „director“ zur Erstattung der Zahlungen nach § 64 S. 1 GmbHG analog verpflichtet gewesen sei, da die Zahlungen zu einer Masseschmälerung geführt hätten Zu einem „Aktiventausch“ sei es durch die seitens der Zahlungsempfänger erbrachten Arbeits- und Dienstleistungen nicht gekommen. Der 2. Zivilsenat verweist insofern zunächst auf die Entscheidung vom 18.11.2014 (Az. II ZR 231/13), wonach eine Erstattungspflicht der Organmitglieder für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife dann entfällt, wenn in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Zahlung ein Massezufluss in das Vermögen der Gesellschaft gelangt, der aber nicht mehr noch bei Eröffnung des Verfahrens vorhanden sein muss. Im Folgenden konkretisiert der 2. Zivilsenat aber seine bisherige Rechtsprechung insofern, als ein „Aktiventausch“ nur dann eintreten könne, wenn die in die Masse gelangende Gegenleistung für eine Verwertung durch die Insolvenzgläubiger geeignet gewesen wäre, wenn zum Zeitpunkt des Massezuflusses das Verfahren eröffnet wäre. Dabei sei grundsätzlich die in die Masse gelangende Gegenleistung nach Liquidationswerten zu bemessen, wenn die Gesellschaft insolvenzreif und eine Liquidation zugrunde zu legen sei. Ob ausnahmsweise Fortführungswerte in Ansatz gebracht werden könnten, wenn eine Fortführung gesichert erscheine, hat der Bundesgerichtshof hingegen ausdrücklich offengelassen. Nach dieser Maßgabe ist der Bundesgerichtshof zu der Verstellung gelangt, dass die seitens der Angestellten sowie der externen Dienstleister erbrachten Arbeits- und Dienstleistungen nicht zum Ausgleich der durch die Zahlung verursachten Massekürzung geeignet gewesen seien, da es an der Eignung zur Verwertung durch die Gläubiger gefehlt habe. Dienstleistungen führten nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse und seien damit kein Ausgleich des Masseabflusses. Nichts anderes gelte hinsichtlich der Dienstleistung eines „Coffee Service“ (offensichtlich die Lieferung von zubereiteten Kaffeespezialitäten), da geringwertige, zum alsbaldigen Verbrauch bestimmte Güter regelmäßig nicht für einen Ausgleich geeignet seien.
Schließlich stellt der Bundesgerichtshof noch klar, dass die vorliegende Entscheidung keine Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung, beispielsweise mit Urteil vom 23.06.2015 (Az. II ZR 366/13; Newsletter Bock legal 3/15) beinhalten solle, wonach bei der Zahlung an Energieversorger und Telekommunikationsunternehmen dem Geschäftsführer die Möglichkeit offensteht, sich nach § 64 S. 2 GmbHG zu exkulpieren, wenn die Zahlung zur vorübergehenden Aufrechterhaltung des insolvenzschuldnerischen Betriebes zur Ermöglichung einer sanierenden Übertragung dringend notwendig war.
Fazit
Durch die Entscheidung vom 04.07.2017 trägt der Bundesgerichtshof erheblich zur Rechtsfortbildung bei. indem er eine Definition des zu einem masseneutralen Aktiventausch“ führenden Gegenwerts liefert. Die Feststellung, dass der Massezufluss für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein muss und dementsprechend weder bei Dienstleistungen noch bei der Lieferung von geringwertigen Verbrauchsgütern ein „Aktiventausch“ vorliegt, stellt auch nur auf den ersten Blick einen Widerspruch zu der in Bezug genommenen Entscheidung vom 18.11.2014 (Az. II ZR 231/13) dar. Denn im vorbezeichneten Urteil stellt der 2. Zivilsenat unter Rn. 11 fest: „Die Masseverkürzung ist ausgeglichen und die Haftung des Organs für die massenverkürzende Leistung entfällt, sobald und soweit ein ausgleichender Wert endgültig in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist. Wenn ein Gegenstand oder eine Geldleistung, die als Ausgleich der Masseschmälerung in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist, danach wieder ausgegeben wird, führt dies gegebenenfalls zu einem neuen Erstattungsanspruch […]“ (Hervorhebungen durch die Unterzeichnerin). Ein „endgültig“ im Gesellschaftsvermögen verbleibender Wert ist aber nur bei Sachwerten, Rechten oder Forderungen denkbar, da Dienstleistungen „verbraucht“ werden, ohne dass hierfür wiederum ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt, wie beispielsweise bei einem Weiterverkauf. Weiterhin ausdrücklich offenstehen soll dem Organmitglied aber nach der vorliegenden Entscheidung die Berufung darauf, dass es (beispielsweise bei Gehältern sowie Zahlungen an Energieversorger und Telekommunikationsdienstleister) sich um betriebsnotwendige Zahlung gehandelt hat, durch welche größerer Schaden von den Insolvenzgläubigern abgewendet wurde.
Dr. Silke Rohnfelder