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Apr
Vertragliche Unterlassungsverpflichtung kann Verpflichtung zum Rückruf von Produkten umfassen
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden, dass der vertragliche Unterlassungsschuldner, der sich verpflichtet es zu unterlassen, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder mit bestimmten Angaben zu bewerben, grundsätzlich verpflichtet ist, durch einen Rückruf der so gekennzeichneten oder beworbenen Produkte dafür zu sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden (Urteil vom 05.05.2017, I ZR 208/15 – Luftentfeuchter).
Sachverhalt
Die Parteien sind Wettbewerber bei der Herstellung und dem Vertrieb von Luftentfeuchtern. Die Klägerin mahnte die Beklagte wegen der auf der Produktverpackung eines Luftentfeuchters enthaltenen Angabe „40% mehr Wirksamkeit“ ab. Die Beklagte gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, mit der sie sich verpflichtete es zu unterlassen, für den Luftentfeuchter mit der von der Klägerin beanstandeten Aussage zu werben.
Die Beklagte klebte die beanstandete Aussage auf den in ihrem eigenen Lager befindlichen Produktverpackungen des Luftentfeuchters ab, nahm die entsprechende Werbung von ihrer Internetseite und sorgte dafür, dass andere Werbemittel mit der Aussage nicht mehr verwendet wurden. Die von der Beklagten vor Abgabe der Unterlassungserklärung verkauften Produkte wurden jedoch nicht anderweitig gekennzeichnet. Nach Abgabe der Unterlassungserklärung war das Produkt mit der beanstandeten Aussage in insgesamt 22 verschiedenen Märkten einer Baumarktkette erhältlich, wobei 17 Märkte von der Kette selbst und 5 Märkte von Franchisenehmern betrieben wurden.
Die auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von € 112.200,00 wegen insgesamt 22 Verstößen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen teilweise wegen 6 Verstößen in Höhe von € 30.600,00 Erfolg.
Entscheidung
Der BGH hat entschieden, dass die Beklagte schuldhaft gegen das Vertragsstrafeversprechen verstoßen hat, weil das Produkt der Beklagten nach Zustandekommen des Unterlassungsvertrags zwischen den Parteien in den Märkten der Baumarktkette weiterhin zum Verkauf angeboten wurde.
Die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, sei mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasse. Derartige Handlungspflichten setzten nicht voraus, dass die Parteien eines Unterlassungsvertrags eine ausdrückliche Vereinbarung über eine Pflicht zur Beseitigung getroffen hätten. Bei einem andauernden rechtwidrigen Verletzungszustand umfasse der Anspruch auf Unterlassung auch deren Beseitigung, da bei einer Dauerhandlung die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung sei. Der Unterlassungsschuldner müsse daher auf Dritte im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren einwirken, um diese zu einem Tun oder einem Unterlassen anzuhalten, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustandes erforderlich sei. Gehe es um die vertraglich übernommene Unterlassungsverpflichtung, ein Produkt nicht mehr in einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder mit bestimmten Angaben zu bewerben, müsse der Schuldner grundsätzlich durch einen Rückruf dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte nicht weiter vertrieben werden. Eine entsprechende Rückrufverpflichtung setze nicht voraus, dass dem Unterlassungsschuldner gegen seine Abnehmer rechtlich durchsetzbare Ansprüche auf Unterlassung der Weiterveräußerung oder auf Rückgabe dieser Produkte zustünden.
Die Beklagte sei danach zu tatsächlich möglichen und zumutbaren Anstrengungen verpflichtet gewesen, um auf das Verhalten der Märkte der Baumarktkette einzuwirken. Gegen diese Verpflichtung habe die Beklagte verstoßen, indem sie die Märkte nicht veranlasst habe, die beanstandete Werbung zu überkleben oder die Luftentfeuchter aus den Vertriebswegen zurückzurufen. Dies wäre der Beklagten möglich und unabhängig von einem Rechtsanspruch voraussichtlich erfolgreich gewesen, weil im Falle des weiteren Vertriebs der Produkte auch Maßnahmen der Klägerin gegen die Baumarktkette im Raum gestanden hätten. Allerdings liege bei wertender Betrachtung nur ein Verstoß gegen das Vertragsstrafeversprechen vor. Die Zuwiderhandlungen beruhten auf einem einheitlichen Entschluss der Beklagten, gegenüber ihren Abnehmern untätig zu bleiben. Es komme nicht darauf an, dass die Beklagte insgesamt gegenüber 6 von ihr belieferten, rechtlich selbstständigen Unternehmen untätig geblieben sei. Die Beklagte habe aufgrund einer einheitlichen, fahrlässig unzutreffenden Überlegung angenommen, sie sei aus der von ihr abgegebenen Unterlassungserklärung nicht zum Tätigwerden verpflichtet. Es würde zu zufälligen Ergebnissen führen, wenn die Anzahl der verwirkten Vertragsstrafen davon abhinge, ob die Abnehmer rechtlich selbstständig oder Teil eines Filialnetzes seien.
Fazit
Mit dem Urteil weitet der I. Zivilsenat seine zu gerichtlichen Unterlassungstiteln ergangene jüngere Rechtsprechung auf die Verpflichtung aus strafbewehrten Unterlassungserklärungen aus. Bezieht sich eine Verpflichtung auf bestimmte Produkte, die bereits vor dem Verbot an gewerbliche Abnehmer ausgeliefert wurden, muss der Unterlassungsschuldner dafür sorgen, dass die Produkte von den Abnehmern in der untersagten Form nicht weiter vertrieben werden. Dies kann die Verpflichtung umfassen, die Produkte zurückzurufen oder einen Rückruf zumindest ernsthaft zu versuchen. Die Ausweitung von Unterlassungsverpflichtungen auf eine Pflicht zum grundsätzlichen Rückruf wirft zahlreiche Folgeprobleme auf. Sie verpflichtet den Unterlassungsschuldner zu zusätzlichen Maßnahmen, die vor Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bedacht und einer rechtlichen Bewertung unterzogen werden müssen. Es kann unter bestimmten Umständen auch geboten sein, die Frage des Rückrufs vor Abgabe einer Unterlassungserklärung mit der Gegenseite zu erörtern, da eine Rückrufverpflichtung auf die Geschäftsbeziehungen des Unterlassungsschuldners zu seinen Kunden erhebliche negative Auswirkungen haben kann.
Benedikt Frank