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Apr
Weiter Handlungs- und Beurteilungsspielraum des Insolvenzverwalters bei der Frage, ob die Anzeige einer (drohenden) Masseunzulänglichkeit veranlasst ist
Mit Urteil vom 20.07.2017 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass Insolvenzverwalter für Kosten von Aktiv- und Passivprozessen der Insolvenzmasse nur in Ausnahmefällen nach § 826 BGB persönlich haften. Dem vom OLG München als Berufungsgericht vertretenen Standpunkt, die Voraussetzungen des § 826 BGB seien mit Rücksicht auf unzutreffende Masseunzulänglichkeitsanzeigen anzunehmen, erteilte der BGH ausdrücklich eine Absage (IX ZR 310/14).
Sachverhalt
Der Kläger war Gesellschaftergeschäftsführer einer Möbelhauskette, die mit sämtlichen Gruppengesellschaften in Insolvenz fiel. Da im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen ein bei der Muttergesellschaft vorhandener Kapitalstock von etwa DM 80 Mio. auf eine Enkelgesellschaft übertragen worden war, an welcher der Kläger ebenfalls mittelbar beteiligt war, nahm ihn der Insolvenzverwalter auf Ersatz von zurückgewährten Einlagen und Schäden u.a. wegen existenzvernichtenden Eingriffs, Verletzung gesellschaftlicher Treuepflichten und verschiedener unerlaubter Handlungen in Anspruch.
Die erstinstanzlich mit dem Antrag auf Zahlung von € 15 Mio. und zweitinstanzlich mit dem Antrag auf Zahlung von gut € 11 Mio. geführte Klage blieb ebenso erfolglos wie die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim BGH. Während der Insolvenzverwalter die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens mit Mitteln der Insolvenzmasse vollständig beglich und auch die erstinstanzlichen Kosten für das Gericht und den eigenen Anwalt anteilig im Umfang von rund € 105.000.- der Masse entnahm, wurden die Anwaltskosten des Klägers und die Gerichtskosten der 2. Instanz nicht bezahlt und aus Anlass der Kostenfestsetzungsbeschlüsse zugunsten des Klägers zweimal Masseunzulänglichkeit angezeigt.
Der mit seinen Kostenerstattungsansprüchen im Umfang von knapp € 200.000.- ausgefallene Kläger nahm den Insolvenzverwalter daraufhin persönlich auf Schadenersatz in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage ab, während das OLG München ihr mit seinem in ZInsO 2015, 1679 veröffentlichten Urteil uneingeschränkt stattgab.
Entscheidung
Die Revision führte zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts. Es entspricht der ständigen, noch unter dem Regime der Konkursordnung etablierten Rechtsprechung des BGH, dass es nicht zu den verfahrensspezifischen Pflichten von Insolvenzverwaltern gehört, auf die Kostenbelange von Prozessgegnern der verwalteten Insolvenzmasse Rücksicht zu nehmen. Denn bei einer ausufernden persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters könnte dieser davor zurückschrecken, Aktiv- oder Passivprozesse der von ihm verwalteten Insolvenzmasse aufzugreifen, weil er befürchten müsste, im Fall des Prozessverlustes infolge unzulänglicher Masse Gegnern und Gerichten persönlich zur Kostenerstattung verpflichtet zu sein.
Daher kommt eine persönliche Kostenhaftung des Insolvenzverwalters nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB in Betracht, was nach der Ansicht des – für Insolvenzverwalterregresse zuständigen – IX. Zivilsenats des BGH erfordert, dass der Verwalter gegen den anderen Teil in zumindest grob leichtfertiger Weise ein gerichtliches Verfahren einleitet und durchführt, obwohl er weiß, dass der bedingte gegnerische Kostenerstattungsanspruch ungedeckt ist (BGH, Urt. v. 02.12.2004 – IX ZR 142/03 – BGHZ 161, 236, Rn. 12). Nach dem VI. Zivilsenats des BGH müssen zu diesen vom IX. Zivilsenat des BGH aufgestellten Anforderungen sogar „besondere Umstände, die sich aus der Art und Weise der Prozesseinleitung oder -durchführung ergeben und die das Vorgehen als sittenwidrig prägen“, hinzukommen, um eine persönliche Haftung aus § 826 BGB für den Kostenschaden des Prozessgegners bejahen zu können (BGH, Urt. v. 25.03.2003 – VI ZR 175/02 – BGHZ 154, 269, Rn. 24).
Davon abweichend bejahte das OLG München mithilfe sogenannter schwerwiegender und nachrangiger Indizien, insbesondere dem Umstand, dass der Insolvenzverwalter zweimal unzutreffend Masseunzulänglichkeit angezeigt habe, weil er für die 3. Instanz die Kosten bezahlt, einen Prozessfinanzierer nicht in Anspruch genommen und zwecks schlüssiger Darstellung einer Masseunzulänglichkeit eigene Insolvenzverwaltergebührenansprüche überhöht ausgewiesen hat, eine sittenwidrig-vorsätzliche innere Haltung des Insolvenzverwalters. Demgemäß hielt der BGH dem Berufungsgericht auch vor, dass es zu Unrecht die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters „auf Umstände [gestützt habe], die den Beklagten zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit geführt haben“, und „Umständen eine Indizwirkung für die Annahme sittenwidrigen Verhaltens zu[wies], die diese nicht haben können“.
Insoweit billigte der BGH den Insolvenzverwaltern nämlich in dreifacher Hinsicht einen weiten Handlungs- und Ermessensspielraum zu: Zum ersten bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt sie die (drohende) Masseunzulänglichkeit anzeigen, zum zweiten in Bezug auf die Ermittlung, ob Masseunzulänglichkeit droht oder bereits vorliegt, und zum dritten hinsichtlich der Bewertung, in welcher Höhe Verfahrens- und Massekosten anfallen und auch gedeckt sind. Und ein grob leichtfertiges Verhalten hinsichtlich der Erfolgsaussichten war bei der gebotenen Bewertung im Lichte einer ex-ante-Prognose ebenfalls zu verneinen, weil dieses nur bei einer vollständig unterbliebenen oder offensichtlich ganz lückenhaften oder sonst auf gänzlich verfehlten Erwägungen beruhenden Prüfung der Erfolgsaussichten in Betracht käme.
Fazit
Mit seiner Entscheidung vom 20.07.2017 erteilt der BGH erneut den Versuchen einiger Instanzengerichte eine Absage, die jenseits der durch die Vorschriften der §§ 60, 61 InsO gezogenen Grenzen eine persönliche Haftung von Insolvenzverwaltern annehmen wollen und sich dabei auch nicht scheuen, § 826 BGB richtiggehend ‘inflationär‘ und wider den vom BGH aufgestellten Voraussetzungen als Anspruchsgrundlage heranzuziehen, obwohl der BGH im Kontext mit den vorliegend berührten Fragen bereits in seinem Urteil vom 21.10.2010 zum Az. IX ZR 220/09 herausgearbeitet hatte, dass die Annahme einer insolvenzspezifische Pflicht zur rechtzeitigen und richtigen Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine unzulässige Ausdehnung der persönlichen Haftung von Insolvenzverwaltern bedeuten würde und daher abzulehnen ist. Demnach bleibt festzuhalten, dass es entgegen nicht selten anzutreffender Ansicht nach gefestigter BGH-Judikatur keine insolvenzspezifische Pflicht zur Bildung von Rückstellungen für Prozesskosten oder für etwaige Gewährleistungsansprüche gegen die Insolvenzmasse gibt.
Dr. Alexander Weinbeer